Spielzimmer 2007
Der 4.000 Einwohner Ort Traisen in zwanzig Kilometer südlicher Entfernung von der niederösterreichischen Landeshauptstadt ist kein lieblicher Ort. Traisen ist eine sicher wohlhabende „Industriesiedlung“ mit langer Tradition. Sehr viel Positives passiert hier, man erlebt Offenheit und Entwicklung. Das Bild des verkehrsgeplagten Orts direkt an der Mariazellerstraße verändert sich stetig. Manche müssen ihre lang eingesessenen Geschäfte zusperren, andere trauen sich das Geschäftsrisiko zu. Erst kürzlich eröffnete ein China-Restaurant, schräg gegenüber hat sich jetzt ein Türke auf internationale Speisen spezialisiert. Dass die Einkünfte der Gemeinde überwiegend aus den hier ansässigen Industriebetrieben kommen, erhöht die große Abhängigkeit von der jeweiligen Konjunktur und eine spürbar vorhandene Verunsicherung. Der Ausländeranteil ist vergleichsweise hoch – zu hoch, wie viele hier meinen. Im Kindergarten spielten fast nur noch Mädchen mit Kopftüchern. Und so scheint auch hier die Diskussion über Fremdenfeindlichkeit eine Ersatzdebatte geworden zu sein. Im Kern dürfte es vielmehr um Fragen der sozialen Fairness und Perspektive gehen.
Schon zum zweiten Mal trifft in dieser Region jene Gruppe von Künstlern zusammen, die Interesse an ortspezifischer Kleinarbeit findet (erstes Projekt: „Aktionsraum Lilienfeld“). Marianne Plaimer, die in Traisen aufgewachsene Ideengeberin und Organisatorin dieser Arbeit, Oswald Stimm, Wiener Objektkünstler und fanatischer Besucher dieser Region, wie er selbst sagt, und Walter Neumaier, allseits bekannter Querschädel hier. Die drei Künstler wollen nun unter persönlichen und sozialen Gesichtspunkten die Gemeinde Traisen „analysieren“ und ihre Statements für die vierzehntägige Dauer der Arbeit aktiv in das Leben der Menschen einfügen.
Mit dem Projektvorschlag stößt man – anderswo oft nicht selbstverständlich - beim Traisner Bürgermeister Herbert Thumpser und Kulturreferenten Alfred Czerny sofort auf Interesse. Den Künstlern wird Infrastruktur bereitgestellt: Der ehemalige Kindergarten im Zentrum des Orts oberhalb der Kirche soll kommunikativer Knotenpunkt der Kunstaktion werden. Daraus auch leitet sich der Titel des Projekts „Spielzimmer“ ab. Um die finanzielle Seite kümmert sich einmal mehr das NÖ Kulturforum. Danke Ewald Sacher und Gotthard Fellerer für auch so viel ideelle Unterstützung in dieser Sache.
Zu Beginn gibt es nur sehr vage Vorstellungen über die Arbeit hier. Die künstlerischen Projekte sollen sich aus einem Prozess der Auseinandersetzung mit dem Ort, lokalen Ereignissen, Geschichte und Geschichten des öffentlichen und privaten Lebens, mit auch sozialen Konfliktlinien realisieren.
Die drei Künstler okkupieren das ihnen zur Verfügung gestellte alte Haus und richten hier über einen Zeitraum von zwei Wochen ihre Arbeitsstätten ein. Es soll ein Refugium entstehen, das offen ist für Erfahrungen, Identitäten und Äußerungen. Es soll ein Raum sein für Kommunikation und Interaktion. Leute sollen sich hier treffen, mitreden, mitmachen, Spaß und Interesse entwickeln, sich in ernsthafter Auseinandersetzung am Entstehen einer Sache beteiligen.
Von vornherein will man die Zusammenarbeit mit jungen Leuten, die von der Mobilen Jugendarbeit Traisen „Südrand“ betreut werden, Jugendliche zwischen 13 und 23 Jahren. Die Mitarbeiter dieses Vereins – im Bezirk Lilienfeld ist „Südrand“ übrigens die einzige Jugendarbeit – identifizieren sich sichtlich sofort mit der Idee. Von da an kommt es zu einer freundschaftlichen und produktiven Zusammenarbeit. Erwartungen gibt es keine. Das „Spielzimmer“ wird ein spannendes Experiment, mehr nicht.
Mit seiner Arbeit gelingt Walter Neumaier eine sehr direkte Partizipation der Besucher. Er installiert seine raumgreifende begehbare Arbeit am Dachboden. Zunächst arbeitet er ausschließlich mit hier Gefundenem und gibt der Situation später durch hinzugefügte, sehr persönliche Dinge neue Bedeutungsebenen. Besucher stöbern neugierig herum, setzen sich auf „ihre“ alten Kindergarten-Sessel, erkennen auf den unzähligen, an Wäscheleinen gehängte Fotos bekannte Traisner, erzählen Geschichten, schwelgen in sentimentaler Erinnerung.
Der lange Zeit in Argentinien und im Kongo gewesene Oswald Stimm stellt sich teils sehr ernsthaften Diskussionen mit Besuchern – manche wie er sagt, erfreuten ihn, andere beunruhigten ihn. Abseits aller Konventionen wolle er nach Berührungspunkten suchen, im Überschreiten der eigenen kulturellen Grenzen eine gemeinsame Sprache finden. Oft führt eine Unbegreiflichkeit gegenüber Stimms künstlerischen Vorgehensweisen zu einer Distanziertheit, die er ganz schnell durch seine zutiefst liebenswürdige Art wettzumachen scheint.
Sehr zögerlich tasten sich Jugendliche heran – zunächst in Begleitung mit den Mitarbeitern der Mobilen Jugendarbeit. In den nächsten Tagen werden mehr von ihnen kommen und schließlich scheint es, als verlagerten sie ihren Treffpunkt von der Straße jetzt ins „Spielzimmer“. Marianne Plaimer stellt mit ihrem Konzept nur einen Rahmen für das Entstehen einer Sache zur Verfügung. Räume im ersten Stock des Hauses, „arme“, billige Materialen wie Abfallkartons, Sprays, Alufolie und Leuchtstoffröhren, einen CD-Player, ein Notebook. Kosovo-Albaner kommen, Kroaten, Tschetschenen und Österreicher. Die Jugendlichen schaffen eine eigenwillige Raumsituation großstädtischer Subkultur: Ein verrauchtes Zimmer, die groß gemusterten Tapeten aus den späten Sechzigern bespannt mit Papieren, darauf gesprühte Symbole, Zeichnungen und Parolen als Zeichen von Identität. Der Herrscherthron inmitten des Zimmers sieht aus wie eine Bastelarbeit aus zugegeben bewusst gefundenen Abfallmaterialien. Auf den ausrangierten Sofas sitzen die jungen Leute oft stundenlang, reden über Gemeinsames, diskutieren über Familientraditionen und ihren Bruch damit. Vorhandene Aggressionen werden spürbar – manchmal. Meistens macht es hier Spaß. Hoffnungen und Ängste konzentrieren sich hier, Haltungen werden artikuliert. Eine dramatische Situation stellt sich ein, die einerseits ein gesundes Solidargefüge weitgehend vermissen lässt und gleichzeitig durch die Zuversicht der jungen Leute sehr viel Hoffnung gibt.
Durch die Nähe der künstlerischen Arbeiten am Leben des Orts und aufgrund des Interesses, konkrete Geschichten von einzelnen Personen aufzugreifen, ergibt sich die Möglichkeit von tiefgründiger Auseinandersetzung, die in der Kunst in dieser Intensität oft nicht stattfindet. Es ist hier eine Kunst gemacht worden, die keinen ästhetischen Anspruch erhebt, sie fordert zur Konfrontation, zum Dialog über bestehende Verhältnisse auf. Sie möchte gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar machen.
Die Künstler stellen letztlich keine großen Einsichten bereit - nur soviel, dass eine hier geschaffene chaotische Kombination von Kulturen, Subjektivem und Kollektivem ganz plötzlich und sehr konsequent allen Tendenzen der Vereinfachung und Bequemlichkeit Widerstand leistete.